PINK LINT
Die besten Dinge brauchen oft Zeit. Ein guter Wein zum Beispiel, guter Käse – oder eben die Musik der Gruppe Pink Lint. Acht Jahre sind ins Land gegangen, bis nun endlich das erste offizielle Album der Mainzer Band erscheint. Acht Jahre, in denen ihr Sound sich entwickeln und wie ein guter Wein reifen konnte. Heraus kam ein geradezu unwiderstehlicher Indie-Tropfen mit dem Namen „You Might Lose A Few Teeth But It’s Fun.“
Angefangen hat alles im Jahr 2006, als Sänger, Gitarrist und Songschreiber Oliver Burghardt ein neues Ein-Mann-Projekt startete. Im Folgejahr nahm er in Eigenregie sein erstes Album auf – damals noch unter dem Namen PLUS, eine Abkürzung für Pink Lint Under Shelves – und suchte sich Leute, mit denen er die Songs auf die Bühne bringen konnte. An die 100 Shows haben Pink Link mittlerweile auf dem Buckel, unter anderem im Vorprogramm von Get Well Soon oder Gisbert zu Knyphausen. Die Besetzung der Band wechselte mehrmals, bis mit Oliver Burghardt, Raid Iskandar, Benjamin Sickel, Martin Born, Christopher Iskandar und Anne-Louise Hoffmann schließlich das jetzige Line-Up stand. Man schrieb Songs, verwarf sie wieder und schrieb neue Songs. „Das erklärt auch die lange Zeitspanne von 2007 bis jetzt“, so Burghardt. 2012 unterschrieben Pink Lint schließlich einen Plattenvertrag bei Grand Hotel van Cleef.
Die Tinte war noch nicht ganz trocken, da packte Burghardt der Ehrgeiz. Drei Monate verkroch er sich, um an neuen Stücken zu basteln. „Ich wollte etwas schaffen, dass sich abhebt“, sagt er. „Zum Schreiben bin ich immer einen Tag pro Woche in die damals leer stehende Wohnung meiner Mutter gefahren und da kam tatsächlich jedes Mal ein Lied bei rum. Die neuen Songs klingen viel eigenständiger, sie sind komplexer und beatlastiger als unsere alten Sachen.“ Gängige Songstrukturen wie Strophe – Refrain – Strophe gibt es im Universum von Pink Lint nicht.
Wer gerne eine Schublade hätte: Wenn irgendwo zwischen Okkervil River und Why? noch Platz ist, könnte man Pink Lint dort hinein stecken. „Ich mag aber auch total gerne das Album ‚The Head On The Door’ von The Cure“, so Burghardt. „Weil die Lieder alle so unterschiedlich klingen und keins dem anderen gleicht.“ Ein Merkmal, das auch auf „You Might Lose A Few Teeth But It’s Fun“ zutrifft. Die von Lolo Blümler in den Ironbar Studios in Darmstadt aufgenommenen Songs haben einen warmen Sound, sind abwechslungsreich und opulent arrangiert: Das Grundgerüst aus Bass, Gitarre und Schlagzeug schmückte die Band mit Mandoline, Vibraphon, Glockenspiel, Synthesizern, Samples, Percussion, Lapsteel, Charango, Orgel, Klarinette, Marimbaphon und Autoharp aus. Obendrauf holten sie für Trompete, Posaune, Flügelhorn, Tuba, Cello und Violine noch Gastmusiker ins Studio. Man gönnt sich ja sonst nichts.
Doch so direkt „You Might Lose A Few Teeth But It’s Fun“ musikalisch ist,
so geheimnisvoll bleiben die Texte. „In vielen Songs geht es um die Unzulänglichkeiten des modernen Lebens“, verrät Burghardt. Die verspielte, erste Single „The Great Balloon Of All Things“ zum Beispiel handelt von Veränderung und gegenseitiger Toleranz, in der melodiösen Midtempo-Nummer „MMXI“ hadert Burghardt mit seiner „Maybe“- Generation, die immer auf der Suche nach etwas Besserem ist, und das schön knarzende „The Cast Of Port Marathon“ erzählt von einer oberflächlichen Clique à la Beverly Hills. „Die Themen kommen bei mir oft kollagenartig zusammen“, sagt Burghardt. „Es geht um Dinge, die ich sehe oder erlebe. Aber auch Literatur ist ein großer Einfluss. Während das Album entstand, habe ich zum Beispiel ‚Infinite Jest’ und ‚The Pale King’ von David Foster Wallace gelesen.“
Wer sich jetzt noch fragt, was der kryptische Albumtitel soll: „You Might Lose A Few Teeth But It’s Fun“ steht im Grunde dafür, etwas zu wagen. „Es kann zwar alles daneben gehen, aber es ist trotzdem besser zu springen, die Augen zu schließen und zu gucken, was passiert“, so Burghardt. „Wenn man danach einen Zahn weniger hat, ist das auch okay. Dann hat man die Erfahrung wenigstens gemacht.“ Pink Lint sind mit ihrem Album gesprungen. Aber sie dürften weich landen.
Nadine Lischick