Lysistrata

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Ein junges Trio mit eigenartigem Namen aus der französischen Provinz sprengt nicht nur Genregrenzen.

Dass Lysistrata Neuerer sind, indem sie völlig undogmatisch in eher unfröhlichen Genres wildern, hatte sich bereits mit ihrem Debütalbum „The Thread“, erst recht aber durch ihre wahrlich Atem nehmenden Konzerte verbreitet. Noiserock, Post-Hardcore, Math-Rock, Post-Rock und wie sich die lauteren Sub-Genres alle schimpfen, möchten – bitteschön – in Deckung gehen, hieß es, denn Lysistrata respektieren deren Grenzen nicht.

Heißt aber noch gar nichts, denn virtuos herum zu frickeln verstehen schließlich viele. Gerne wird in Post-/Math-/Dingsbums-Zirkeln akademischer Wettbewerb ausgestellt, öde Leistungsschau in Fingerfertigkeit und ganz toll unangepasste Einfallsfülle. Es wird dann rasch ein kaltes, kunsthandwerkliches Gebummse, das weder Feuer zu entfachen noch Haltung zu transportieren in der Lage ist.

Nicht so hier. Unzählige Einfälle, Volten und Wenden, ja schon, aber es wäre ja furchtbar langweilig, wenn da nicht auch Groove wäre. Oder spektakuläre, völlig over-the-top platzierte Wucht, frei drehend, endlos, so etwas wie kathartische Erlösung versprechend. Oder plötzliches, gespenstisches Innehalten nachdem zuvor der Derwisch tanzte. Oder fast schon melodische Punkrock-Passagen, gefolgt von atemloser Hatz. Alles drin.
Auch wenn der Titel „Breathe In/Out“ gefühlt ein beruhigendes Heilsversprechen in sich trägt, da er signalisiert man möge zur Ruhe kommen, sich sammeln, sich auf das Wesentliche konzentrieren – vergiss es. Man ist fast schon absurden Tempowechseln ausgeliefert, großem, aufbrausendem Getöse, enormer Dynamik.
Und doch: Das Trio vermittelt totale Kontrolle. Das ist fast schon majestätisch in seiner Selbstverständlichkeit.

Die Wiederholung sei die Mutter der Didaktik, heißt es. Das Segensversprechen, das der stumpfen Repetition innewohnt, zu durchkreuzen, indem die erwartete Wiederholung vorenthalten, stattdessen der verquere Wechsel durchgezogen wird, komme was wolle – das ist hier, obschon mehrfach eingesetzt, kein künstlerischer Taschenspielertrick. Nein, „Breathe In/Out“ folgt einfach einer eigenen paranoiden Agenda:
Wenn ich da bin, wo Hörer und Hörerin meinen, sich heimisch fühlen zu müssen, dann bin ich falsch. Denn ich werde ihnen zeigen, wo Bartel wirklich den Most holt. Ich werde ihr Hörvergnügen triggern, ihnen andere Orte als die voraussehbaren zuweisen, ihnen verdammt noch mal zeigen, was eruptive Energie ist und wie man sie zum Vorteil der Sache kanalisiert um dann erst recht ein sturmflutartiges Crescendo zu entfachen.

„Breathe In/Out“, ihr zweites Album, hat es nicht nötig, sich anzukumpeln. Die offenen Strukturen strengen an, sind teils schlichtweg verstörend. Hier wird niemand mitgenommen, wo sie oder er abgeholt werden möchte – nein, hier wird gerne brachial überrumpelt. Aber Théo Guénau, Max Roy und Ben Amos Cooper, alle gerade mal in ihren frühen Zwanzigern, suhlen sich eben nicht in den Klischees, die man erwarten würde, wenn man die amorphe Genre-Häufung ihrer Einflüsse als Projektionsfläche nimmt. Nö. Sie vollführen ein Spektakel, das allgegenwärtigem Eskapismus Wahrhaftigkeit entgegensetzt. Vielleicht auch: Herzensbildung. Denn wer so viel so hart herauszuschreien hat, hat mehr als juveniles Spielvergnügen, Wut und Fantasiebegabung zu offerieren. Hier schälen sich Menschen, die auf den ersten Eindruck vielleicht in einem geschlossenen System zu leben scheinen, öffentlich aus ihrer Haut. Wie es gleich der erste Titel beschreibt: „Different Creatures“.

Oft klingt vor allem der Gesang fast versöhnlich, flehentlich oder es beginnen die Titel im Noise-Rock Muster, wie es in den frühen 90er-Jahren TAR oder The Jesus Lizard stilprägend vorführten – um dann abzudriften, irgendwohin zu spurten, mit weit aufgerissenen Augen, wild gestikulierend. Dynamik gibt es hier zuhauf. Manchmal, wie in „Boot On A Thistle“ wird auch einfach nur von vorne bis hinten im Post-Hardcore durchgekloppt und gebrüllt, nicht unähnlich ihren Labelfreunden von Fjørt , und auch das ist eine rauschhafte Reise.

Und „Mourn“ erst. Wie schön das ist in all seiner Schroffheit.

Wie Lysistrata Songs schreiben, weiß ich nicht. Vermutlich ist ihre größte Inspiration nach wie vor der Moment an sich, die totale Spontaneität. Aber woher kommt dann dieses Geschick, sich einzugrenzen und wieder frei zu lassen, diese Konstruktionsgenauigkeit der Songs? Und diese manische Freude an ihrer Dekonstruktion? Dieser nerdige Trotz, diese kompromisslose Sturheit?

Das Album, in Gänze gehört, verbiegt und dreht sich, springt umher und metamorphosiert auf vielfache Art. Perspektiven werden verschoben – „Breathe In/Out“ verfügt über raue Wärme und kaleidoskopische Kultiviertheit. Nichts scheint hier Stückwerk, alles ergibt sich aus sich heraus. Einatmen/Ausatmen. Es wird noch etwas dauern, bis ich das alles komplett verstanden haben werde. Vielleicht wird das auch nie passieren. Faszinierend.

Rembert Stiewe

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