East Cameron Folkcore
Is it better to light a candle or curse the dark?
Da ist sie wieder: Eine dieser Fragen, die man selbst tief in seinem Inneren spürt, die man aber einfach nicht so gut und treffend fomuliert kriegt.
Und da ist sie wieder: Eine dieser Bands, die den Job für einen erledigt. Die das Herz am richtigen Fleck und die Finger am richtigen Gitarrenbund hat. Die über genug gesellschaftlichen und politischen Weitblick verfügt, um eine treffende Bestandsaufnahme des Weltzustands 2016 rauszuhauen. Und die gleichzeitig voller Poesie und künstlerischer Inspiration ist, um ihre Wut, Verzweiflung, Trauer und Hoffnung lasst es uns kurz und einfach Gefühle nennen nicht in trockene Vorträge zu packen, sondern in Songs. In große, lebendige, mitreißende, tröstende, aufrührerische, gefällige, widerborstige Songs! East Cameron Folkcore sind mit einem neuen Album zurück. Und wahrscheinlich haben wir sie nie so dringend gebraucht wie heute.
Nach dem Kraftakt Kingdom Of Fear aus dem Jahr 2015, einem Mammutwerk, das sich auf vier LP-Seiten seinen Weg brach, heißt das Motto bei East Cameron Folkcore nun Reduktion. Acht Songs finden sich auf Better Off, die Spielzeit beträgt gerade mal etwas mehr als eine halbe Stunde. Ob das als Mittelfinger an die gefährlich-stupide Kapitalistenformel Value for Money zu verstehen ist, die bei künstlerischen Werken noch weniger Sinn macht als ohnehin schon? Oder als Verbeugung vor all den wegweisenden Kurz-und-knapp-Alben der Musikgeschichte, von Cash bis Dylan, von Weezer bis Slayer, von Springsteen bis Pixies? Fokussiert auf das Wesentliche, destilliert auf die Hauptbestandteile: Better Off ist dermaßen auf den Punkt, dass man kaum Zeit zum Verschnaufen oder Innenhalten hat.
Wobei sich die Reduktion und Fokussierung zum Glück nicht auf die musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten bezieht: Denn ECF sind immer noch die wuchtigste, klügste und bedeutendste Indie-Big-Band der Welt.
Gleich der erste Song Better Off ist ein Haudrauf von einer Hymne, wie ihn nur dieses texanische Hardcore-Orchester hinkriegt: Jesse Moores drängender Gesang, der so viel Verzweiflung in sich trägt, aber auch Hoffnung, dass sich alles doch noch zum Guten wendet, wenn wir alle mal unseren Arsch hochkriegen und unsere Befindlichkeiten über Bord werfen. Die melancholischen Texturen, die Cellistin Mary Beth Widhalm den Strophen verpasst. Die strahlend-erhabene Trompetenmelodie, die Blake Bernstein anstimmt, und die irgendwo zwischen Sixties-Pop und königlichem Defiliermarsch changiert. Und das alles mündet dann in einen Refrain, der in bester Punkrock-Tradition steht, so packend und infektiös, dass man sich mitten ins Pogo-Getümmel stürzen und mit gereckter Faust mitgröhlen und ein paar Gleichgesinnte anrempeln will. Ein Hit, vielleicht der größte, den East Cameron Folkcore bisher geschrieben haben. Und mit einem Refrain, der Bände spricht: We’d be better off / If we cared less for money and more just for life.
Who do we think we are stellt dann im Gospelrock-Gewand Identitätsfragen mit weltanschaulicher Tiefe, die uns alle betreffen: Die vorschnellen Urteile, die wir treffen, unseren unerschöpflichen Vorrat aus Ablehnung und unsere Qualitäten als profunde Nein-Sager. Rhythmisch höchst geschickt arrangiert, groovt sich der Song im Refrain in inhaltlich-formaler Perfektion der Frage aller Fragen entgegen: Was bleibt von uns, wenn die Musik auf einmal aufhört?
Mit Darling What Went Wrong, einem Song, der in anderer Form von Jesse Moores Americana-Projekt Cortez bekannt ist, zeigen ECF, dass sie genau aufgepasst haben, als Otis Redding sich seine Seele aus dem Leib riss und sie der Welt präsentierte. Das stimmliche Zusammenspiel zwischen Jesse und April Perez-Moore sorgt für eine Gänsehaut nach der anderen, und auch der Rest der Band beweist einmal mehr seine Vielseitigkeit und legt einen in Form und Wirkung perfekten Soul-Schmachter hin. Wobei man sich nicht täuschen lassen sollte: Das Darling, das hier so herzzerreißend besungen wird, muss nicht unbedingt eine wirklich Verflossene sein, sondern lässt sich auch auf unseren Planeten beziehen. Das Eis schmilzt, die Stürme brausen auf, und schließlich kommen wir alle um. Das Ende einer Beziehung und das Ende der Zivilisation sind sich womöglich ähnlicher, als wir bislang dachten.
Auch das ist eine Erkenntnis, die dieses Album liefert: Die Trennung zwischen Politischem und Privaten ist oft schwerer aufrechtzuerhalten, als einem vielleicht lieb ist. Denn East Cameron Folkcore waren nie die Band, die über profane Liebesbeziehungen, Schmetterlinge und emotionale Blumenwiesen singt. Andererseits gibt es aber Gefühle, die sowohl private als auch politische Relevanz haben. Natürlich beschäftigt sich Dreams Deferred zunächst einmal mit dem großen Ganzen: Was passiert eigentlich mit den Versprechen, die man ständig aufschiebt, und den Träumen, die man sich verkneift? Kommen die doch irgendwann ans Licht und werden wahr? Oder explodieren sie mit einem lauten Knall? Aber die Gefühle, die East Cameron Folkcore ausdrücken, sind universal und passen in viele Leben und Situationen. Am Ende ist es fast egal, wo all die Wut und Trauer im Song TCB herkommt, die so gewaltig ist, dass man nicht nur den Himmel mit Benzin übergießen und anzünden möchte, sondern dass man auch tatsächlich glaubt, dass das irgendwie möglich sein könnte.
Das Schöne an den Platten von East Cameron Folkcore ist, dass man dabei immer etwas lernen kann. Über diese phänomenale Band. Über sich selbst. Und über Personen, Ansichten und Dinge, die in der Welt, aber nicht präsent sind. Scheiß auf Sportwagen und Champagnermarken, hier geht es um wirklich Wichtiges. Zum Beispiel um den Designer, Philosophen, Erfinder und Universalgelehrten Richard Buckminster Fuller. Der pries die Vorteile der Nachhaltigkeit, betonte die Bedeutung globaler Zusammenhänge, setzte auf Kooperation statt Konflikt und erdachte ein World Peace Game als Alternative zu den damals beliebten Kriegsspielen, bei dem man den Weltfrieden ohne ökologische Schäden erreichen musste. Und das alles bereits in den 1950er und 1960er Jahren – in einer Zeit also, in der Überfluss, Maximierung und Verschwendung noch als Tugend und nicht als Problem galten. Better Off beginnt mit einem Zitat aus einer Fuller-Rede und atmet auch sonst an mehreren Stellen den Geist dieses visionären Denkers.
Better Off präsentiert eine Band, die sich gefunden hat. East Cameron Folkcore klingen wie keine andere Band, und keine andere Band klingt wie East Cameron Folkcore. Ist das jetzt eher folkig oder mehr dem Punkrock zugeneigt? Spürt man hier den Geist von Sam Cooke oder dort eher den der Bad Brains? Sind die naiv-optimistischen Sechziger die Bezugsdekade oder doch eher die kaputten Achtziger und Neunziger? All diese Fragen kann man sich zwar stellen, sie machen aber nicht mehr viel allzu Sinn bei dieser Band, die sich selbst Einfluss genug zu sein scheint. Das ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, wie viele Transformationen diese Band schon hinter sich hat: inhaltliche, musikalische, aber vor allem personelle. Doch der Kern, das Kraftzentrum, das Herz der Band schlägt und schlägt und schlägt und pumpt das Blut durch den Organismus, egal, welche Organe und Gliedmaßen gerade damit versorgt werden. Durchhalten, trotz aller Widrigkeiten. Weitermachen, auch wenn sich Steine, Hügel, ganze Gebirgsmassive in deinem Weg befinden. East Cameron Folkcore sind eine Band, eine Wahnsinnsband sogar. Aber noch mehr sind sie eine Idee, die größer und schwerer ist, als die Schultern ihrer Mitglieder tragen können.